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Warum benötigt es spezialisiert weitergebildetes Pflegepersonal auf der Intensivstation?

Durch die Covid-Pandemie sind die Intensivstationen in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Es hat sich in der Krise auch für die Öffentlichkeit wahrnehmbar gezeigt, dass zu wenig spezialisiertes Personal (dipl. Expert:innen Intensivpflege NDS HF) auf den Intensivstationen zur Verfügung steht. So wurde zusätzlich "nicht spezifisch ausgebildetes Pflegepersonal" zur Unterstützung auf der Intensivstation eingesetzt. 
Diplomiertes Pflegepersonal ohne Spezialisierung konnte jedoch das Intensivpflegepersonal, also dipl. Expert:innen Intensivpflege aus fachlichen Gründen nicht ersetzen.

Warum nicht? Können denn nicht alle Pflegenden für diese spezialisierten Tätigkeiten eingearbeitet werden? Die Antwort ist definitiv nein.
Die Anforderungen an Pflegefachpersonen auf der Intensivstation sind hoch. Patient:innen werden auf einer Intensivstation aufgenommen, wenn ihre Zustände oder Krankheiten lebensbedrohlich sind, bzw. ohne entsprechende Therapie kurzfristig lebensbedrohlich werden können. Dazu gehören ebenso alle schweren Organ- und Funktionsstörungen des ganzen Körpers, insbesondere wenn spezifische Unterstützungs- und Organersatzverfahren notwendig werden. Der Zustand schwer erkrankter Personen kann sich dabei sehr schnell ändern. Dies erfordert standardisierte und individuelle Überwachungsmassnahmen. Das heisst: Akute Interventionen müssen über 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr sehr kurzfristig sichergestellt werden können. Dazu kommt, dass keine wesentlichen Aktivitätsunterschiede zwischen Tag und Nacht bestehen, sodass sowohl am Tag, als auch in der Nacht gleich viele Expert:innen Intensivpflege im Einsatz stehen müssen.

Wie erlangen Pflegende die Kompetenzen, um in diesem Umfeld den Anforderungen gerecht zu werden? 
Diplomiertes intensivpflegepersonal trägt den Titel «dipl. Experte/Expertin Intensivpflege NDS HF». Um diesen Titel zu erwerben, absolvieren Pflegefachpersonen HF und FH gemäss des Rahmenlehrplans der Oda Santé ein zweijähriges Nachdiplomstudium (NDS), welches berufsbegleitend mit einem Arbeitspensum von mindestens 80% absolviert wird. Dies bedeutet, dass die Studierenden während ihres Nachdiplomstudiums auf der Intensivstation angestellt sind, um die theoretisch erworbenen Kenntnisse im Berufsalltag zeitnah umzusetzen.

Was sind dies für spezifische Kompetenzen?
Der Rahmenlehrplan gibt dazu 16 Kompetenzen vor, die zu erreichen sind. Diese Kompetenzen reichen von der Erfassung einer komplexen Patientensituation mit drohenden Komplikationen bis hin zur Begleitung Angehöriger in der Krisensituation. Dipl. Expert:innen Intensivpflege sind während ihrer gesamten Arbeitszeit direkt bei den Patient:innen und kontrollieren, überwachen und koordinieren die komplexe Intensivtherapie und führen notwendige Interventionen zusammen mit dem Team durch. Dies reicht von der Einstellung des Beatmungsgeräts, der Zufuhr und Dosisanpassung von kreislaufunterstützenden und anderen Medikamenten, bis hin zur Vorbereitung und Begleitung diagnostischer Massnahmen. So beginnt die Schicht mit einer Antrittskontrolle, bei der alle pflegerischen und therapeutischen Massnahmen bei den jeweiligen Patient:innen überprüft, mögliche Gefahren erkannt und damit Komplikationen verhindert werden können.

Um hier ein Beispiel zu nennen: Pflegefachpersonen haben ein verordnetes «Blutdruckziel» zu verfolgen. Um die kreislaufunterstützenden Massnahmen korrekt anzuwenden, muss die Interaktion der Medikamente mit anderen Einflussfaktoren auf den Organismus beachtet werden. Dazu gehören z.B. der Volumen- und Flüssigkeitsstatus, die Herzfunktion und weitere Einflüsse auf den Blutdruck durch die Beatmung, Lagerung, oder Patientenaktivität. Hierzu benötigt es sehr viel fachspezifisches Wissen zu Physiologie (normale Funktionen des Körpers) und Pathophysiologie (Störungen der Körperfunktion durch die Krankheit).

Weshalb werden so viele dipl. Expert:innen Intensivpflege benötigt?
Aufgrund des hohen Betreuungsaufwandes ist eine Pflegefachperson für 1 bis maximal 3 Patient: innen zuständig, auf „Normalstationen“ liegt das Verhältnis bei ca. 1:20.
Hier muss angemerkt werden, dass Patient: innen, die mit einem Verhältnis von 3:1 versorgt werden können, in der Schweiz eigentlich nicht auf eine Intensivstation gehören. Zudem ist die Betreuung von wirklich intensivpflichtigen Patienten mit einem Schüssel 1:3 weder für die Patient:innen noch die Pflegefachpersonen zumutbar, da damit weder Behandlungssicherheit noch –qualität garantiert werden können.
Der Zertifizierungsschlüssel für die Anerkennung der Intensivstationen der Schweizerischen Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI) ist wie folgt festgelegt:

  • ≥ 1/3 der verlangten, minimalen Vollzeitstellenprozente des Pflegepersonals muss über das Diplom Experte in Intensivpflege NDS HF oder eine gleichwertige Aus-/Weiterbildung verfügen,
  • ≥ 1 am Bett tätige Pflegeperson pro Schicht besitzt das Diplom Expert:in Intensivpflege NDS HF oder eine gleichwertige Weiterbildung (Richtlinien für die Zertifizierung von Intensivstationen).

Eine gute Intensivmedizin definiert sich damit in erster Linie über Qualität und Quantität der Fachkräfte, welche an einem Ort mit optimalen infrastrukturellen und technischen Rahmenbedingungen arbeiten und nicht über die Anzahl physisch vorhandener Betten. In der Schweiz haben Intensivpflegende eine höhere Entscheidungskompetenz als im nahen Ausland. Hierzu helfen uns Angaben aus dem Ausland, wie zum Beispiel aus Deutschland. In Deutschland dürfen verschiedene Tätigkeiten formal nur von Ärzten ausgeführt werden, in einer rechtlichen Grauzone werden diese aber an Pflegefachpersonen delegiert. (Stellungnahme zur Stärkung und Zukunft der Intensivpflege in Deutschland, DGF und DIVI, 08. und 09.2021).
Die Pflege von Intensivpatient:innen ist eine eigenständige Profession. Pflegefachpersonen führen nicht nur pflegerische Tätigkeiten und die verordneten Therapiemassnahmen aus, sondern koordinieren diese auch mit dem interdisziplinären Team, z.B. mit diagnostischen Massnahmen und der Physiotherapie.

Hierzu ein kleines Beispiel: Ein Patient erhält wegen akuter Verschlechterung der Atmung auf der Intensivstation eine Beatmungstherapie mit Maske (nicht-invasive Beatmung). Die Physiotherapie wird hinzugeholt, um die Atmung zu unterstützen. Die dipl. Expertin Intensivpflege bereitet den Patienten vor und berücksichtigt die Sauerstoffreserve des Patienten während der Therapie, wie auch Schmerzen, Ängste und Kreislaufinstabilitäten. Da eine Intubation mit Beatmung unumgänglich werden kann, hat sie bereits alle Zuständigen informiert und Vorbereitungen getroffen. Parallel dazu wird dafür gesorgt, dass keine andere diagnostische Massnahme läuft und anwesende Angehörige über die Massnahmen genau informiert werden.

Was braucht es in der Zukunft?
Die Herausforderungen bleiben auch in Zukunft hoch bzw. werden weiterwachsen, da die Intensivmedizin immer mehr auf eine ältere Bevölkerung mit mehreren chronischen Krankheiten (Multimorbidität) zugeschnitten werden muss. Die Zahl älterer Menschen und der Behandlungsmöglichkeiten auch in höherem Lebensalter ist steigend. Es ist daher mit einer Zunahme an stationären Spitalaufenthalten und einer Zunahme an Eingriffen zu rechnen. Diese können zu vorübergehenden Instabilitäten führen, welche auf einer Intensivstation behandelt werden müssen. Der Bedarf an gut ausgebildeten Expert:innen wird damit weiter steigen.

Um Patienten nicht zu gefährden und Pflegende nicht zu überfordern, braucht es ein hohes fachliches und spezialisiertes Wissen, sowie Investitionen in Fachkräfte, die den Ansprüchen gerecht werden können.

Wie in der Medienmitteilung vom 03.02.2022 bereits bekannt gegeben, unterstützt der Kanton Zürich die Weiterbildung in Intensiv- wie auch Notfallpflege finanziell. Das ist ein wesentlicher und wertvoller Schritt, um die Situation zu verbessern.

Prof. Dr. Reto Stocker (Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Fachdozent, Höhere Fachschule Z- INA)
Hedwig Zahner (Studiengangsleitung Intensivpflege, Höhere Fachschule Z- INA)

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